Digitalisierung in Zeiten der Pandemie
Wie alles begann
Kurz nach dem LockDown im März 2020 kam ein Digitalisierungs-affiner Apotheker auf uns zu, um uns sein Konzept vor zu stellen:
Der Corona-Virus stellt die Apotheken nicht nur vor neue Herausforderungen im pharmazeutischen Bereich, sondern verpflichtet Inhaber und Filialleiter die in den Apotheken umgesetzten Maßnahmen in Bezug auf die COVID-19 Pandemie zu dokumentieren und regelmäßig zu überprüfen. Beispiele hierfür sind: Die Installation von Plexiglaswänden oder auch die Unterweisung von Mitarbeitern und Boten. Bei fehlender Dokumentation drohen nicht nur berufsrechtliche Konsequenzen und Probleme mit dem Arbeitsschutz. Im Fall von COVID-19 Verdachtsfällen vermag eine ordnungsgemäße Dokumentation schließlich auch den Pharmazierat und insbesondere das Gesundheitsamt davon zu überzeugen, den Betrieb hinsichtlich behördlicher Vorgaben unbehelligt zu lassen.
Um diesen lästigen aber notwendigen Verpflichtungen schnell und einfach nachkommen zu können, hatte der Apotheker die Idee einer webbasierte Plattform (www.corona-doku.de) für die Bearbeitung dieser Prozesse entwickelt.
Wir fanden die Idee und das Konzept sehr spannend und haben uns entschieden, das Projekt trotz einiger Herausforderungen an zu gehen. Denn die Zielvorgaben waren äußerst ambitioniert. Da das Thema natürlich aufgrund der aktuellen Pandemie-Situation sehr drängend war und die Apotheker eine schnelle Unterstützung brauchten, sollte der Prozess von der abstrakten Produktidee bis zum Finalen Go-To-Market des digitalen Services in nur 8 Wochen abgeschlossen sein.
Eine weitere Herausforderung bestand in der Tatsache, dass zur Realisierung des Projektes die Kompetenzen verschiedener externer und interner Projektbeteiligter gebündelt werden mussten. Die alphasystems wurde als Prozess-Owner mit der agilen Projektsteuerung, dem Prozess-Design und der Realisierung beauftragt.
WAS? WANN? VON WEM?
Die Kernfrage, die sich in diesem Augenblick stellte, war so einfach, wie auch so komplex zugleich:
Wie können wir den Markteintritt eines innovativen digitalen Produkts mit neuem Marktsegment und neuen Zielgruppen in nur 8 Wochen erfolgreich umsetzen?
Das Ziel war definiert, alles andere war offen. Es gab kein Konzept, keinen definierten Feature-Katalog, keine UI-Vorgabe, es gab nicht einmal ein Logo.
Wir identifizierten und definierten im ersten Schritt alle relevanten Parameter, um den Prozess systematisch aufsetzen zu können. Insgesamt waren am Ende 6 unterschiedliche Kompetenzzentren am Projekt beteiligt. Das Stakeholder-Team setzte sich zusammen aus Vorstand und Fachbereichen des Kunden, Rechtsanwälten, sowie Entwicklern, Administratoren, Designern und Projektmanagern.
Entscheidend war in dieser Phase die Identifikation und Definition von Handlungsfeldern, Zeitfenstern, Anforderungen, möglichen Teilprojekten (z.B. Logoerstellung), Stakeholder, Kompetenzen, sowie den Rollen und Funktionen der einzelnen Beteiligten.
Die Zielsetzung bestand darin, einen systematisches Prozessdesign zu entwerfen, um das möglichst agile und vor allem ergebnissichere Zusammenwirken der verschiedenen heterogenen Beteiligten sicher zu stellen – bei gleichzeitiger Erfüllung der zeitlichen und inhaltlichen Vorgaben.
Auf unserer Analyse-Grundlage setzten wir in Folge ein umfassendes und vor allem agiles Prozess-Design auf – denn wir wollten nicht nur in der Entwicklung, sondern auch im Projektmanagement möglichst agil vorgehen.
Dieses Planungs- und Steuerungs-Framework berücksichtigte sämtliche Tasks, Rollen, Abhängigkeiten und Milestones in den Handlungsfeldern: digitale Produktentwicklung, Marke, Marketing-Kampagne, Testverfahren, inhaltliche Prüfung und natürlich auch den Go-To-Market.
MVP Ansatz
Während der Definition der Steuerungs- und Prozessaufgaben wurde recht schnell deutlich, dass ein erfolgreicher Start des Produktes nur auf Basis einer MVP-Entwicklung gelingen konnte.
Der Ansatz des Minimum Viable Products (MVP) kommt ursprünglich aus dem Lean Management. Dabei wird eine Vorgehensweise gewählt, mit der wir uns stückweise dem Leistungsumfang des Zielproduktes nähern. Aufwendungen, die auf Vermutungen und Einschätzungen zu Features und Funktionen basieren, sollen dabei erstmal vermieden werden. Ein MVP verfügt somit nur über die gerade eben erforderliche Menge an Funktionen, um einen zentralen Nutzen für die späteren Anwender zu generieren. Es ist somit eine erste, minimale, aber funktionsfähige Version eines Produktes mit dem Ziel, Feedback der ersten Kunden und Erfahrungswerte ein zu sammeln und damit das Produkt weiter zu entwickeln.
Nach reiflicher Überlegung sind wir dabei nach der Single-Feature-MVP Methode vor gegangen.
Wie der Name schon sagt, muss man sich hierbei auf die Implementierung einer einzigen ( einiger weniger ) Funktion(en) konzentrieren. Das hört sich erstmal verrückt an, aber viele erfolgreiche Produkte wie z.B. WhatsApp oder Spotify wurden genau nach diesem Ansatz realisiert. Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, dass man eine nachgefragte Funktion auswählen muss, welche die Hauptbedürfnisse der Zielgruppe abdecken sollte.
Bei aller Euphorie zum Thema MVP muss aber beachtet werden, dass das Minimum Viable Product zwar einen schnellen Markteintritt, ermöglicht, aber Mehrkosten bei der Weiterentwicklung mit sich bringt. Ideen oder Strukturen müssen ggf. auf Basis neuer Anforderungen überarbeitet oder re-designed werden.
Nachdem nun klar war, wie wir vorgehen würden, starteten wir die Realisierung und kamen in einen Rhythmus, den ich mit dem Satz „Aus Work wird Flow“ betiteln würde. Zur effizienten Steuerung des gesamten Workflows und der agilen Zusammenarbeit aller Beteiligten etablieren wir verschiede Projektmanagement- und Team-Kommunikationslösungen als gemeinsame Arbeitsplattform. So standen z. B. mit Teams ein zentrales Tool für Kommunikation, mit odoo und GitLab Tools zur Organisation, Dokumentation und zum Reporting zur Verfügung.
„Minimum“ und „viable“: richtig priorisieren
Ein der Kernfragen während der Realisierung, die immer wieder im Team diskutiert wurde, drehte sich das Thema, welche Funktionen denn höchst „vaible“ sind. Um diese Frage zu beantworten zu können, half die Zusammenarbeit mit einem Apotheker enorm. Er hatte tiefe Kenntnis der Prozesse und konnte klar definieren, welche Funktionen die Bedürfnisse seiner Kollegen am besten bedienen konnten. Nachdem wir die Informationen gesammelt hatten, haben wir alle Features nach der sogenannten „MoSCoW“–Methode in vier Hauptgruppen unterteilt:
„Must-Have“: Es geht um eine begrenzte Anzahl von Funktionen (oder eine einzige Funktion), die wirklich entscheidend sind, um corona-doku.de zu starten und den Apothekern einen schnellen Mehrwert zu bringen.
„Should-Have“: Diese Funktionen vervollständigen die Produktvision, erweitern die nächsten Releases und bringen zusätzliche wichtige Mehrwerte bei der Zielgruppe.
„Could-Have“: Das sind wünschenswerte Funktionen, die momentan aus bestimmten Gründen nicht implementiert werden.
„Won’t-Have“: Zu dieser Gruppe gehören Funktionen, die wahrscheinlich auf dem Markt schon vorhanden sind oder Bedürfnisse Ihrer Zielgruppe kaum abdecken können.
Somit gelang es uns, in nur wenigen Wochen von der ersten vagen Idee zu einem fertigen Produkt zu gelangen. Der Go-To-Market wurde punktgenau realisiert. Ende Mai, 8 Wochen nach dem ersten Gespräch, ging die Pandemie-Plattform live und wurde schon wenige Wochen nach dem Start von Tausenden Apothekern genutzt.
Ausblick
Inzwischen sind einige Monate vergangen und es ist viel passiert. Corona-Doku.de wurde permanent an die Bedürfnisse der Apotheker, basieren auf deren Feedback, adaptiert. Gleichzeitig wurden 3 weitere neue Produkte entwickelt, die im Herbst ihre Marktreife erreichen werden. Zudem wurde die „Dach-Marke“ Apo-Doku.de entwickelt, die alle diese Digitalisierung-Tools für den Apotheker unter einer zentralen Anlaufstelle verfügbar macht.
Durch den raschen Markteintritt, als der First Mover in diesem Segment, ließ sich nicht zuletzt wertvoller Earned Content generieren: Bei Prüfungen in Apotheken wurde unser dort eingesetztes Tool als hervorragende Lösung explizit durch die Prüfer gelobt.